Zum Material von Walter Gropius
Die Briefentwürfe von Walter Gropius
Die Gattung des Briefwechsels lebt von der abwechselnden Korrespondenz, von der Abfolge von Brief und Gegenbrief. Da in dieser Korrespondenz jedoch nur Briefe erhalten sind, erscheinen diese im Wechsel mit den Briefentwürfen von , die nicht als vollwertige Briefe gewertet werden können. Wie viele Briefentwürfe zu jeweils einem Brief verarbeitete, kann heute ebenso wenig beantwortet werden wie die Frage, welche der Entwurfsinhalte tatsächlich in seine Briefe aufgenommen wurden – es sei denn durch Korrespondenzstellen. Damit stellt diese Edition keinen klassischen Briefwechsel dar, sondern eine Abfolge von Briefen mit Entwürfen, die erste Gedanken beim Lesen, Grundideen, Stichworte und Zitate, also Vorstadien sammelten und zuallererst für selbst bestimmt waren.
Von den insgesamt ca. 300 Briefentwürfen der gesamten Korrespondenz mit sind 231 in den ersten beiden Jahren, 1910 und 1911, entstanden. In dieser Zeit verfasste seine Entwürfe auf verschiedenen Arten von Papier. Zumeist benutzte er Notizblöcke unterschiedlicher Formate, außerdem Papierbögen, die er ein- bis zweimal faltete, beschrieb und dann in Viertel riss, seltener auch schnitt. Auffällig ist das überwiegend gleiche Format der Blätter, das der Größe einer Mantel- oder Sakko-Tasche entspricht. Vereinzelt findet sich auch von Reisen mitgebrachtes Hotel-Briefpapier, das er ebenfalls für seine Entwürfe verwendete, zudem einzelne Papierschnipsel und kleinere Fragmente.
Fast alle Briefentwürfe sind in Bleistift verfasst und oft in Tinte ergänzt. Vollständige Tintenfassungen sind dagegen selten und stellen offensichtlich angefangene und dann abgebrochene Briefe dar, die ebenfalls als Teil der Entwurfsphase verstanden werden können, mit der seine Briefe an vorbereitete.
Zur Zusammenstellung der einzelnen Blätter: Notizen, Entwürfe und Reinschriften
Erst die vollständige Transkription aller Blätter ermöglichte die Zusammenstellung einzelner Seiten zu zusammenhängenden Briefentwürfen, die nach einheitlichen, methodisch konsistenten und nachvollziehbaren Kriterien geordnet und verknüpft werden mussten. Hauptkriterium war dabei primär der Inhalt. Bricht ein Satz auf einem Blatt ab und wird auf einem anderen eindeutig weitergeführt, ist die Zuordnung klar. Da jedoch viele Sätze unerwartet abbrechen ließ, beendete oder ohnehin nur Stichworte verfasste, konnte diese Methode nicht durchgängig angewendet werden. In all den Fällen, die sich nicht durch inhaltliche Anschlüsse klären ließen, wurden die Art und Größe des Papiers, das Schriftbild sowie die Aufteilung bzw. Verteilung des Textes auf dem Blatt herangezogen. Die Grundannahme dieser Rekonstruktion bestand darin, dass einen zusammenhängenden Entwurf auf derselben Papierart, also auf nacheinander folgenden Seiten beispielsweise eines Notizblocks mit einem ähnlichen Schriftbild, etwa ähnlich ruhig oder ähnlich erregt, und einem ähnlichen Textaufbau auf dem Blatt verfasste. Die Abfolge der Blätter, so wie sie in das Bauhaus-Archiv gekommen sind, war zudem in vielen Fällen für die Sortierung aussagekräftig.
Bei der Zusammenstellung der Blätter ergaben sich in der Folge verschiedene Texttypen oder Entwurfsstadien des Schreibprozesses. Briefnotizen stellen die früheste Phase dar, sind oft nur stichwortartig und als unmittelbarer Ausdruck verfasst, häufig mit längeren Trennstrichen in unterschiedliche Absätze unterteilt. Oftmals scheint es sich bei diesen Notizen um eine erste Reaktion und Gedankensammlung nach dem Erhalt eines Briefes von zu handeln, weshalb einige der Briefnotizen auch direkt auf den Umschlag ihrer Briefe geschrieben wurden. Zu dieser Gruppe der Notizen gehören auch die wenigen Blätter, auf denen nur für sich Dinge notierte, die nicht in Briefe an einflossen, zum Beispiel eine Liste seiner an sie abgesendeten Briefe während ihres USA-Aufenthalts im Winter 1910/1911 (WG92). Die Briefentwürfe, in denen er sowohl Inhalte als auch Formulierungen, poetische Wendungen oder Zitate für die späteren Briefe sammelte, stellen die größte Gruppe dar. Sie weisen unterschiedliche Phasen auf, sind manchmal sehr ausführlich, manchmal eher sprachlichen Wendungen gewidmet.
Zudem finden sich vereinzelt Briefreinschriften, also auf Briefpapier verfasste Texte in Tinte, die eine Anrede, selten auch ein Datum und ein sauberes Schriftbild aufweisen. Warum diese angefangenen Briefe nicht weitergeführt wurden, lässt sich oftmals sehr eindeutig beantworten. So liegt es an einem einfachen Schreibfehler innerhalb einer ansonsten korrekten Reinschrift oder am Eintreffen eines Briefes von , der eine neue Antwort seinerseits erforderte. In anderen Fällen lässt sich der Grund hingegen nicht eruieren und kann nur vermutet werden. In einzelnen Briefentwürfen lassen sich sogar verschiedene Entwicklungsstadien des Schreibprozesses innerhalb eines Entwurfs rekonstruieren, beispielsweise Notiz und darauf aufbauender Entwurf oder Entwurf und darauf aufbauende Reinschrift.
In nur zwei Fällen lassen sich Briefabschriften nachweisen, die sich durch einen vollständigen Text inklusive Anrede und Grußformel und ein fehlerloses Schriftbild auszeichnen, jedoch in Bleistift oder auf einem Notizblockblatt verfasst wurden. Da es sich bei WG5 um den ersten Brief an , Mutter, und bei WG36 um das einzige Schreiben an handelt, liegt die Vermutung nahe, dass in diesen beiden Fällen Kopien für sich selbst anfertigte.
Walter Gropius‘ Art zu schreiben und sein Umgang mit Alma Mahlers Briefen
Die Briefentwürfe in unterschiedlichen Stadien des Schreibprozesses zeigen deutlich, wie ausführlich seine Briefe vorbereitete. Die Gründe dafür sind sicher in seinen tiefen Gefühlen der Liebe und des Respekts für zu suchen, aber auch in seinem Umgang mit dem Medium des Briefeschreibens. Verschiedentlich drückte spürbar aus, wie schwer ihm die geschriebene Kommunikation fiel. Bereits in seinem allerersten ausführlichen Briefentwurf heißt es: Wär ich doch ein Dichter um mit schöneren Worten Tempel zu bauen in denen ich Dich anbete; alle unsere Worte kommen mir viel zu blaß und verbraucht vor für Dich, mein Herz (WG2 vom 30. Juni bis 3. Juli 1910). Schon im nächsten Entwurf findet sich eine ähnliche Stelle: verstehe sie \Worte/ nicht zu meistern, nur im Fühlen bin ich Dichter und Deiner würdig und kann \Verschwender sein/ mit vollen Händen (WG3 vom 16. Juli 1910). Wahrscheinlich führten ‘ eigene Zweifel an seiner rhetorischen bzw. verbalen Ausdrucksfähigkeit zu seiner Praxis, alle Briefe ausführlich vorzubereiten. Dies ist vor allem deshalb erstaunlich, weil er sich als späterer Bauhaus-Direktor gerade durch seine sprachlichen Fähigkeiten, egal ob mündlich oder schriftlich, besonders auszeichnen sollte.
Innerhalb seiner Entwürfe kommentierte auch seine Art des Briefeschreibens und bemerkte: Ich schreibe nicht im Affekt […] ich überlege alles auf gründlichste und wäge mit Gerechtigkeit (WG63 vom 2. September 1910). Dennoch erwähnte er niemals ausdrücklich, wie akribisch er seine Briefe an vorbereitete, stattdessen betonte er mehrfach, wie sehr ihn die Gedanken an die Geliebte überallhin begleiteten. So heißt es zum Beispiel in einem Entwurf: \Täglich/ Auf jeder Bahnfahrt habe ich mir Notizen gemacht, die Du in diesem Briefe wiederfindest (WG78 vom 3. Oktober 1910). Diese Aussage belegt, dass über mehrere Tage hinweg Gedanken (Notizen) sammelte, die er dann zu einem Brief zusammenstellte. Wahrscheinlich entstand so eine Art Brief-Mosaik, wozu auch folgende Aussage passt: Du mußt Dich darüber wundern, wie ich wechselnd der Ton in meinen Briefen ist, sie entstehen \aber/ ruckweise[,] oft liegen Stunden zwischen den einzelnen Sätzen (WG77 vom 1. bis 3. Oktober 1910). Während also in den fertigen Briefen viel Arbeit steckte, stellen die Briefentwürfe selbst unmittelbare Eindrücke und Gedanken dar, die relativ ungefiltert zu Papier brachte. Dabei verfiel er manchmal regelrecht in einen Gedankenfluss, wie er auch selbst feststellte: Ich rede zu Dir wie zu einem Beichtvater (WG112 vom 17. bis 22. Dezember 1910). Besonders deutlich wird dies anhand jener Entwürfe, die unmittelbar nach dem Eintreffen eines Briefes von auf der Rückseite des Umschlages verfasst wurden und offenbar allererste Eindrücke beim Lesen ihres Briefes wiedergeben. Die Entwürfe stellen damit per se ein anderes Medium dar als die nicht erhaltenen fertigen Briefe, die las. Die ungeschliffenen und unmittelbaren Gedanken des noch unbekannten Architekten lassen sich hier ebenso gut verfolgen wie seine eigenen Korrekturen und Bearbeitungen ebendieser Gedanken. Da offensichtlich selbst Defizite in seiner Art des Ausdrucks sah, nahm er vielfach Anleihen bei literarischen Texten, verarbeitete Zitate und Referenzen und gab auch Wortlaut vielfach direkt wieder.
Wie oft die Briefe seiner Geliebten las, beschrieb er in seinen eigenen Entwürfen immer wieder, auch die deutlichen Abnutzungsspuren an den Umschlägen legen davon Zeugnis ab. las die Briefe nicht nur, er studierte sie eingehend, prüfte den Poststempel, verglich ihn mit dem angegebenen Schreibdatum und nummerierte die Umschläge (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen). Einerseits weist dieser Umgang mit ihren Briefen darauf hin, wie wichtig und wertvoll die materiellen Objekte, die Briefe selbst, gewesen sind. Andererseits zeigt sich jedoch auch der Wunsch, zu verstehen, wann Briefe schrieb, wann sie sie zur Post brachte und wie lange ein Brief brauchte, bis er ihn in Händen halten konnte. Dies zeigt sich besonders deutlich während USA-Aufenthalt im Winter 1910/1911.